Erdtrud Mühlens hat nach einem einschneidenden Erlebnis das Netzwerk Nachbarschaft gegründet. Sie erzählt von den vielen positiven Effekten guter Nachbarschaft.
Zusammenhalt und Solidarität
Ich bin Erdtrud Mühlens, 65 Jahre alt. Ich bin Gründerin des Netzwerk Nachbarschaft, einer bundesweiten Community für aktive Nachbarn, Journalistin gelernte und offen für viele Projekte die noch kommen werden. Für mich bedeutet Nachbarschaft Zusammenhalt, Solidarität, das gute Gefühl, gut aufgehoben zu sein - und zwar quer durch alle Altersgruppen. Nachbarschaft ist für mich der "Inner Circle" des Wohnwohlgefühls.
Das Netzwerk Nachbarschaft
Das Netzwerk Nachbarschaft ist ein sehr großes, breit gestreutes Angebot an guten Ideen, wie Nachbarn miteinander umgehen können. Wie sie gemeinsam Aktionen oder ihre Interessen umsetzen können. Wir stellen auf unserem Portal sehr viele erfolgreiche Initiativen von Nachbarn vor. An die 2500 Projekte haben sich seit der Gründung im Netzwerk eingetragen. Es ist also eine Inspiration für alle, die mit ihren Nachbarn besser und gut auskommen wollen, ihre Nachbarschaft mögen und sich dort wohlfühlen.
Ein Schlüsselerlebnis inspirierte mich
Mein Schlüsselerlebnis hatte ich 2004, weil ich mit dem Leben sozusagen davongekommen bin. Ich war in Sri Lanka und habe den Tsunami erlebt - aber im positiven Sinne auch ein Leben geschenkt bekommen. Es war ein großer Glücksmoment. Viel damit zu tun hatte das Zusammenwirken der guten Kräfte vor Ort. Die Nachbarn dort haben sich sehr geholfen. Es war eine wunderbare Solidarität und das zu erleben war für mich ein ganz besonderer Moment. Als ich zurückgekommen bin nach Deutschland habe ich gedacht: Ich möchte das weitergeben! Auch das Glück, was ich dabei empfunden habe. Weitergeben und es auch den Menschen ermöglichen, sich auf diese Werte zu besinnen. Und zu der damaligen Zeit war Nachbarschaft sehr schlecht beleumdet. Und ich habe einfach angefangen mit meinen Kenntnissen und Fähigkeiten als Journalistin und Pressefrau für die Verbreitung der guten Ideen zu sorgen.
Eine Sammelbewegung für Nachbarschaftsprojekte
Wir schreiben seit 14 Jahren vom Netzwerk Nachbarschaft Wettbewerbe aus. Wir suchen Nachbarschaftsprojekte, die von Nachbarn für Nachbarn umgesetzt worden sind und belohnen diese. Zeichnen diese auch aus. Und über die Vielfalt der Projekte, die wir im Laufe der Jahre auch immer wieder erfahren und kennenlernen durften, hat sich eine große Community gebildet. Mit Projekten im Bereich des Bauen und Wohnens, Solargemeinschaften, bis hin zu Straßenfesten, Tauschbörsen, Zeittauschbörsen, Innenhofgestaltungen... Alles das, was die Gemeinschaft stärkt und sie auch belebt und lebendig macht. Die kreativen und guten Talente hervorbringt, die ein jeder von uns hat. Dieses Verfahren, diese Projekte einzuladen und sich vorzustellen hat sich wirklich als sehr gut erwiesen. So haben wir gesammelt. Wir sind eigentlich eine große Sammelbewegung für die besten Projekte von Nachbarn für Nachbarn.
Das Individuum gewinnt!
Nachbarschaft wirkt sich unbedingt positiv auf das Individuum aus. Es ist ja auch ein gesunder Eigennutz. Es gibt ja diese Begrifflichkeit vom "sozialen Kapital" und den "sozialen Ressourcen" in Nachbarschaften. Wir tun uns immer selber erst mal etwas gutes damit. Und ich finde, das ist auch ein ganz entscheidender Impuls, dass man sich als Individuum wohlfühlt. Dass man etwas davon hat. Ob das jetzt Wertschätzung und Anerkennung ist oder der Gewinn von Freunden in der unmittelbaren Nachbarschaft. Das Individuum gewinnt in jedem Fall.
Nachbarschaft ist eine Mikrowelt der Gesellschaft
Für mich ist Nachbarschaft die kleine Welt. Das ist die Mikrowelt der Gesellschaft. Und alles was in der Gesellschaft stattfindet, findet auch in der Nachbarschaft statt. Ausgrenzung im negativen Fall, Anonymität, Rücksichtlosigkeit, nicht solidarisch zu sein, keine Aufmerksamkeit aufbringen, das alles kann in Nachbarschaften stattfinden und findet in unserer Gesellschaft statt. Und deswegen können wir auf der anderen Seite ja auch sagen: Nachbarschaft ist die Möglichkeit, dass man diese Werte wieder stärkt, wie Aufmerksamkeit, Solidarität, den Gemeinschaftsgedanken - und auch für sich selber den Nutzen daraus zieht. Weil es eben schöner ist, in einer sicheren, geborgenen Umgebung zu leben. Umgekehrt wird man krank und das beobachten wir in unserer Gesellschaft. Ausgrenzung macht auch krank. Das kann man gerade in Nachbarschaften, im unmittelbaren Umfeld, so wunderbar beeinflussen, in dem man einfach vor die Haustür geht.
Viele positive ökologische Auswirkungen
Eine funktionierende Nachbarschaft kann sehr viele positive ökologische Auswirkungen haben. Das geht los mit Begrünungsaktionen. Also: Mach dein Wohnumfeld grün. Das machen sehr viele Nachbarn. Das geht dann so weit, dass man in Innenhöfen Kräuterbeete, Gemüsebeete oder auch Obstbeete anlegt und das Naturwesen auch wieder näher an sich heranholt. Das geht dann so weit, dass man gemeinsam Solargemeinschaften bildet. Auch dazu haben wir einige Beispiele. Einkaufsgemeinschaften... Alles Dinge, die dazu beitragen, dass man im Konsum auch aufmerksamer wird. Dass man gemeinsam auch so ein Konsumbewusstsein entwickelt. Wir brauchen nicht überbordend viel. Der Kühlschrank muss nicht immer platzen. Und wir können auch unter uns etwas teilen, wie beispielsweise beim Foodsharing. Auch wie schon erzählt die Zeittauschbörsen, oder Reparatur-Cafés, die ja wunderbarerweise sich in Deutschland immer weiter ausbreiten, tragen dazu bei, dass wir bewusster konsumieren und diese Wegwerfmentalität in Nachbarschaften aufgrund dieses guten Zusammenwirkens auch überwunden wird.
Es braucht Treffpunkte
Es gibt meines Erachtens so viele und vielfältige Möglichkeiten, wie es auch eben unterschiedliche Menschen gibt und Individuen. Ich wünsche mir und für mich ist die Vision, dass man als Nachbarschaft auch stark genug ist, sich diesen Einflüssen von Seiten der Wirtschaft, der Immobilienwirtschaft, entgegenzustellen. Dass man die Bereiche die einen zusammenbringen erhält, beziehungsweise aufbaut. Es braucht Treffpunkte. Es braucht diese Oasen, wo man zusammenkommen kann.
Jung und Alt einbinden!
Meine Vision ist auch, dass Nachbarschaft ein Mehrgenerationen-Thema ist. Dass also die Jungen den Alten und die Alten den Jungen helfen. Dass keiner vereinsamt, sondern dass jeder eingebunden ist in der Gemeinschaft. Unabhängig von dem Alter: Junge Familien, Alleinerziehende, Menschen die Hilfe brauchen, Menschen die zu vereinsamen drohen, das sind Bedürfnisse, die in Nachbarschaften wunderbar aufgefangen werden können. Und das ist meine Vision. So soll es sein.
Mehr für das eigene Umfeld engagieren!
Ich finde, dass die Bürokratie mitunter einem solche Steine in den Weg legt, dass es mühsam wird. Und mein Appell an die Nachbarschaften ist: Lasst euch von den Bürokraten nicht kirre machen! Dagegen kann man etwas tun. Es gibt sehr viele gute Beispiele von Kommunen, die solche Initiativen unterstützen. Und der zweite Punkt ist: Der Begriff Ehrenamt ist häufig mittlerweile auch so ein bisschen missbräuchlich verwendet. Das was Nachbarn füreinander tun und was wichtig ist, dass man sich Liebe, Zuneigung, Aufmerksamkeit entgegenbringt, das ist das Größte und Wichtigste was man tun kann. Und diese Wertschätzung, die sollte man nicht anderen in die Hand legen, sondern selber auch ausüben.
Und hier geht es zur Webseite vom Netzwerk Nachbarschaft.
Du hast Lust bekommen, dich nach einer gemeinschaftlichen Wohnform umzusehen? Bei der Aktion "Hallo Nachbar*in" kannst du dich inspirieren lassen und deine Recherche organisieren.
Der Artikel hat mir sehr gut gefallen und ja, es ist wirklich wichtig, sich für eine gute Nachbarschaft stark un machen. Umso mehr haben mich die Aussagen und Erlebnisse von Frau Mühlens sehr bewegt. Wenn sie Nachbarschaftspreise auslobt, sollte sie auch mal einen Preis für ihr Engagement erhalten. Respekt!!