Putte über die Stadtisten | NACHBARN

Putte über die Stadtisten | NACHBARN

Thorsten Puttenat aus Stuttgart ist Mitbegründer der Stadtisten, die sich einmischen und mit neuen Formen nachbarschaftlichen Miteinanders experimentieren.

Was ich mache

Ich bin Putte, so werde ich genannt, 43 Jahre alt, lebe in Stuttgart, werde manchmal Stadtaktivist genannt. Ich bin jemand, der sich einfach versucht einzumischen und sich mit anderen zusammen hier in Stuttgart einsetzt, für eine gute Nachbarschaft und ein gedeihliches Miteinander einsetzt. Und dazu haben wir auch eine Wählervereinigung: Die Stadtisten, mit "dt". Das kleine "d" macht den Unterschied zum Statist, der nur daneben steht und nichts tut. Und nur zuschaut. Ich bin von Beruf Filmmusiker, Musiker generell, und arbeite auch als Sprecher arbeite ich ein bisschen.

Botschaft: Thorsten "Putte" Puttenat

Überall leben Leute wie du und ich

Denn wir sind ja alle in unseren kleinen Mikrokosmen. Das heißt, wir haben unsere unmittelbare Nachbarschaft, um unser Haus herum, um unsere Wohnungen herum. Da sind auch überall Leute, die eben auch Leute sind wie du und ich letztendlich. Da fängt es an, im ganz Kleinen, und weitet sich dann letztlich aus, auf den Mikrokosmos Stadt. Auf die größere Umgebung. Und da gibt es unglaublich viel zu tun und es ist eine spannende Aufgabe, da einfach auch ein bisschen zu versuchen mitzuhelfen. Aktiv zu werden. Nicht einfach nur anonym vor sich hin zu leben. Das ist natürlich Typsache, ganz klar. Aber es ist schön zu sehen, dass sich Leute da Mühe geben.

Wie die Stadtisten entstanden sind

Wir hatten ja in Stuttgart die großen Proteste um den Bahnhof damals. Da war ich auch sehr aktiv, zweieinhalb Jahre ab Stück. Bin dann beim Volksentscheid, als sich eine Mehrheit dafür ausgesprochen hat den Bau fortzusetzen, ausgestiegen. Habe aber in diesen zweieinhalb Jahren unheimlich viel gelernt. Über soziale Bewegungen, über Kommunikation, über die Justiz, über die Medien, über die Politik ganz generell. Wir hatten in Stuttgart zu der Zeit auch eine unglaubliche Stimmung. Eine Aufbruchstimmung. So etwas würde man in einer Stadt wie Stuttgart, so einer wohlfeinen, geleckten Stadt ja gar nicht erwarten. Da war ja auch die Republik insgesamt sehr überrascht darüber.

Da ist eine unglaubliche Energie entstanden und wir haben uns danach - also nicht nur ich, sondern auch andere Leute - wir haben uns gefragt: Was machen wir denn jetzt mit der Energie? Jetzt gehen wir nicht mehr wegen dem Bahnhof auf die Straße, aber diese Energie muss ja irgendwo hin. und deswegen sind wir jetzt einfach mal nicht gegen etwas, sondern setzen uns für unsere Stadt ein. Wobei man sagen muss, die Demonstranten haben sich auch nicht einfach nur gegen etwas eingesetzt. Da ging es ja auch recht viel darum, FÜR etwas zu sein. Und darauf hin habe ich dann mit zwei Freunden die Stadtisten gegründet. Einerseits als Plattform für Initiativen - also unpolitisch letztendlich. Andererseits haben wir gesagt: Wer aber in den Gemeinderat oder in die Bezirksbeiräte will, soll das auch können. Also fahren wir zweigleisig und stehen auf zwei Beinen. Initiativcharakter und den konkreten kommunalpolitischen Charakter.

Von der Idee zum Gemeinderat

Also die Stadtisten haben sich ja ein Jahr vor der Gemeinderatswahl gegründet und man muss natürlich, um eine Wählervereinigung zu sein, erst mal ein Verein werden. Das heißt, man braucht einen Vorstand, braucht einen Kassenwart. Diese ganzen formalen Dinge. Dafür braucht man einfach auch ein Team und Leute die sagen: OK, das ist zwar trocken, aber ich übernehme diese Aufgabe. Das war natürlich eine große Anstrengung auch.

Dann muss man den Wahlkampf vorbereiten: Man braucht Geld für einen Wahlkampf. Man braucht Leute, die da mithelfen. Man muss Plakate machen. Man braucht natürlich auch Inhalte. Haltungen haben wir die genannt. Auf unserer Homepage kann man sie ja nachlesen. Das ist kein Parteiprogramm. Wir sind ja eben auch keine Partei, sondern eine Wählervereinigung. Und man muss sich überlegen, wie man nach Außen kommuniziert, welches Bild man auch abgeben will. Diese ganzen blöden Marketing-Geschichten natürlich auch. Also, wie will man auf sich aufmerksam machen? Welche Mittel hat man?

Das waren alles so Aufgaben, die wir innerhalb von einem Jahr, bis zur Gemeinderatswahl, meistern mussten. Und wir haben es geschafft. Wir sind im Gemeinderat! Mit einer einzigen Person nur. Wir sind die kleinste Leuchte da in diesem Betrieb. Und in drei Bezirksbeiräten sind wir. Aber aller Anfang ist gemacht - und es macht Spaß.

Die Projekte der Stadtisten

Es gibt verschiedene Projekte, die die Stadtisten ins Leben gerufen haben. Zum Beispiel "Refugees Welcome to Stuttgart" hat eine unheimlich tolle Erfolgsgeschichte. Hat auch viele Preise mittlerweile gewonnen. Das ist eine Facebook-Plattform zur Hilfe und auch zur Vernetzung von Stuttgartern und Neustuttgartern, also Geflüchteten. Das ist eine ganz tolle Geschichte. Dann machen wir die Agenda Rosenstein. Da setzen wir uns sehr stark für die Flächen nach diesem Bahnhofsumbau ein. Wir kriegen ja hier in Stuttgart im Grunde ein neues Stadtviertel. Wir wollen dort fünf, der potenziellen 85 Hektar für eine Art Künstlerviertel, in dem man auch experimentieren darf. In dem Vertreibung keine Chance hat. In dem man auch neue Formen der Mobilität, der Logistik ausprobieren kann, Wohnformen wie Mehrgenerationenhäuser... Also alles unter so einem Allgemeinwohlstern stehenden Kram.

Je mehr man sich öffnet, desto mehr kommt zurück

Nachbarschaft wirkt sich positiv auf mich selber aus, in dem es eine gewisse Atmosphäre schafft. Ich habe ja die Möglichkeit, mein Haus zu verlassen und im Grunde geradeaus durch die Straße zu laufen. Oder ins Smartphone zu gucken. Oder Musik zu hören. Oder ich habe die Möglichkeit, meine Umgebung mit offenen Augen und Ohren wahrzunehmen. Auch die Menschen, die um mich herum leben. Die ganzen Leute. Ich bin ja hier nicht alleine. Und ich denke, je mehr man sich da auch öffnet, desto mehr bekommt man auch zurück

Das ist natürlich Typsache. Manche Leute, und da habe ich auch vollstes Verständnis dafür, haben überhaupt keine Lust auf nachbarschaftliche Beziehungen. Die haben ihren Job. Die haben genug um die Ohren. Die wollen einfach auch ihre Ruhe haben. Das muss man, finde ich, akzeptieren. Aber hier bei uns haben eine sehr lebendige Nachbarschaft. Ich wohne ja hier am Marienplatz in Stuttgart. Das ist ein Ort, der sich unglaublich toll entwickelt hat. So ein Kiez sozusagen. Und da passiert sehr viel unter den Leuten und mit den Leuten.

Ein gesellschaftliches Klima ist ein politisches Klima

Eine funktionierende Nachbarschaft schafft natürlich auch automatisch ein gesellschaftliches Klima. Und ein gesellschaftliches Klima wiederum ist natürlich auch ein politisches Klima. Wir sind ja letztendlich, auch wenn man apolitisch ist, nie allein. Wir sind permanent in der Umgebung mit ganz vielen Leuten, die auch anders ticken als wir. Und wie vorhin auch schon sagte: Wenn man versucht offen zu sein für so etwas, schärfen sich die Sinne letztendlich. Je mehr man auch in Kontakt kommt mit anderen Leuten, die man gar nicht kennt, desto mehr interessiert man sich automatisch für das eigene Umfeld. Und da sind wir ja eigentlich schon bei der Politik.

Wir haben zum Beispiel hier auf dem Marienplatz in den letzten Monaten den Speakers Corner wiederbelebt. Mit ganz tollen Ergebnissen und Erfahrungen auch. Weil einfach wildfremde Leute in den Diskurs miteinander kamen über politische und gesellschaftliche Themen. Kontrovers diskutiert haben, aber alles sehr anständig. Speakers Corner kann ja auch locker in die Hose gehen, indem Leute permanent das Wort ergreifen und herum pöbeln: "Ey, ich habe die Wahrheit gefressen und ihr Halunken wisst überhaupt nichts. Ich weiß alles!" Das ist unglaublich spannend. Das ist direkt vor meiner Haustür.

Ja, ich denke letztendlich geht es darum, dass man Interesse füreinander und für das große Ganze im Kleinen generiert.

Man überlegt: Was könnte man noch optimieren?

Wenn man in der Nachbarschaft lebt und man entwickelt auch ein Gespür für diese Nachbarschaft, dann spielen natürlich auch so Kleinigkeiten eine Rolle, wie: Werfe ich meinen Müll auf die Straße oder bringe ich ihn zum nächsten Mülleimer? Oder auch die Frage: Haben wir denn überhaupt genug Mülleimer hier in der Straße, oder am Marienplatz? Das sind alles so Kleinigkeiten. Der Marienplatz ist zum Beispiel hier so an einer Straße, wo man 50 fahren darf und da spielen natürlich Kinder. Es gibt auch keine Absperrungen für die Kinder. Also auch solche Fragen kommen auf, je öfter man sich an einem Ort aufhält. Ob es die Straße ist oder vor der Haustür, oder der Platz eben, desto mehr, denke ich, macht man sich auch Gedanken darüber, was man ändern könnte. Und da spielen alle Faktoren eine Rolle: Sicherheit, Umwelt, Sauberkeit. Was kann man noch optimieren? Was sollte man tun? Man kommt einfach auf Ideen.

Als letztes Beispiel: Der Marienenplatz ist eine Betonwüste... ist an sich kein schöner Platz. Aber die Menschen nehmen ihn an. Und wie oft wir da sitzen und darüber reden, dass es toll wäre, wenn es zum Beispiel so ein kleinen Wagen gäbe, der würde Liegen und Sitze verleihen. Auf solche Sachen kommt man, wenn man sich damit beschäftigt.

Mit App und Facebook vernetzen

Wenn ich es ganz kitschig sage, dann sieht die optimale Nachbarschaft im Grunde so aus, dass die Leute sich wirklich umeinander kümmern. Dass sie sich helfen, dass sie auch ins Gespräch kommen - also der Nachbarschaftsplausch. Dass man auch Formen erfindet, die da auch mithelfen. Wir haben in Stuttgart zum Beispiel die Initiative "Deine Straße". Das sind junge Leute, die haben eine App entwickelt, um Nachbarn in Kontakt miteinander zu bringen. Zum Beispiel: Ich habe eine Bohrmaschine, brauche die so gut wie nie, wenn die jemand haben will... Ich wohne gleich hier um die Ecke. Das ist ganz praktisch in der App, weil alles ganz nah beieinander ist. Oder auch: Suche jemanden, der mit meinem Hund Gassi geht, wenn ich arbeiten muss. Oder suche Leute, die mit joggen gehen, jeden Mittwoch oder Fußball spielen und so weiter. Das sind auch so Sachen, die hier bei uns im Stuttgarter Süden entstanden sind.

Oder ich habe zum Beispiel mit unserer WG hier eine kleine geschlossene Facebook-Gruppe gegründet. Haben dann ein Flugblatt gemacht und hier in unmittelbarer Nachbarschaft in die Briefkästen geschmissen und gesagt: Wenn ihr Bock habt, dann kommt in diese Gruppe. Und dann können wir uns gegenseitig austauschen. Oder wenn irgendjemand was braucht. So kam ich zum Beispiel mal an einem Sonntagmorgen, als ich kein Plektrum zum Gitarrenspielen mehr hatte, in die Gruppe und habe geschrieben: "Ich weiß, es ist Sonntag, aber hat jemand ein Plektrum?" Und dann hat ein wildfremder Mensch, den ich gar nicht kenne, der vier Häuser weiter wohnt, gemeint: "Ja ja, komm einfach vorbei." Und dann habe ich den kennengelernt und das Plektrum abgeholt. Das ist nur so ein kleines Beispiel.

Mehr für das eigene Umfeld engagieren!

Was ich mir sehr wünschen würde... Aber auch hier betone ich noch mal, es ist auch Typsache und man muss die verschiedenen Typen die wir sind, einige verschlossen, andere laut und so weiter, muss man akzeptieren. ... das manche Leute, die so ein bisschen auch den Pfeffer in der Hose haben, etwas mehr aus sich raus gehen und diesen nachbarschaftlichen Kontakt suchen. Und sich da ein bisschen mehr bemühen. Denn ich denk, es wird auch mit Freude belohnt, wenn man sich da ein bisschen mehr engagiert für das eigene Umfeld. Und nicht immer im Großen denkt. Ein Grund, warum wir die Stadtisten gegründet haben war auch, weil wir gemerkt haben: Wir können in Berlin nichts verändern. Wir können noch nicht mal in Baden Württemberg, auf Landesebene, irgendetwas verändern. Also, wo können wir denn was tun? Und die Antwort war ganz einfach: Wir können da was tun, wo wir aus unserer eigenen Haustür raus purzeln und raus fallen. Da, wo wir einfach jeden Tag vor Ort sind. Und da freue ich mich einfach über alle Leute, die einfach Bock haben, sich da ein bisschen mehr einzusetzen.

Und hier geht es zur Webseite der Stadtisten.

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Zur Aktion: Hallo Nachbar*in

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